„Tod - Höhepunkt des Lebens”

 

Bild: Moxy-Hotel Wien Schwechat

 
 

Dieser provokante Titel stammt nicht von mir, sondern vom indischen Mystiker und Meditationslehrer Osho. Er beschreibt den Tod aus einer spirituellen Perspektive und zeigt auf, dass der Tod enger mit dem Leben verbunden ist, als uns oft bewusst ist.

Vielleicht kennen Sie Jean Améry, einen Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus? Améry betrachtete den Freitod als Ausdruck von Menschlichkeit und persönlicher Freiheit. Er selbst hatte seine traumatischen Erfahrungen im Konzentrationslager schriftlich verarbeitet und entschied sich später, gemäß seiner eigenen Überzeugung vom Freitod, das Leben zu verlassen. Sein Sterben sagt viel über sein Leben aus.

Kürzlich starb eine sehr liebe Freundin von mir an Krebs. Ihre Diagnose kam plötzlich und unerwartet – ein großer Schock für alle. Der Krankheitsverlauf war so schnell und schmerzhaft, dass sie bereits nach zwei Monaten sterben wollte, weil sie die Schmerzen kaum noch aushielt.

Als Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin habe ich viele Jahre auf Intensivstationen und im Rettungsdienst gearbeitet. Dabei bin ich dem Tod oft begegnet. Es war jedes Mal nicht nur erschreckend, sondern auch faszinierend, die vielen verschiedenen Gesichter des Todes kennenzulernen: manchmal schnell und unerwartet, manchmal erlösend und barmherzig, gelegentlich schmerzhaft oder gar grausam, und manchmal sogar geheimnisvoll und erhaben.

Doch jede Begegnung mit dem Tod hatte etwas Gemeinsames: Sie war für mich wie eine schallende Ohrfeige, die mich wachgerüttelt und aus meinem Alltagstrott herausgeholt hat. Und damit meine ich nicht eine Art Trägheit des Alltags, sondern das Verzetteln in unwichtigen Dingen: Der Ärger über einen Strafzettel, eine unfaire Behandlung auf der Arbeit oder meine Bank, die mich austrickste. Kennen Sie diese Gedankenspiralen, in denen wir uns tage- oder wochenlang verlieren? Wie viel kostbare Zeit verbringen wir damit, ohne dass es uns weiterbringt?

Dann, unerwartet, begegne ich immer wieder dem Tod – und alles wird wieder ins rechte Licht gerückt. Was mir gerade noch so bedeutend erschien, wirkt plötzlich trivial. Da verliert eine Mutter ihren Sohn bei einem tragischen Unfall, und ich habe mich wochenlang über Kleinigkeiten geärgert? Der Tod zeigt mir immer wieder, was wirklich zählt, bringt mich zurück ins Hier und Jetzt – und dafür bin ich ihm tatsächlich dankbar.

Zurück zu meiner Freundin. Ihr Tod hat mich tief berührt und traurig gemacht, intensiver als alle beruflichen Begegnungen mit dem Tod zuvor. Doch auch dieser persönliche Verlust hat mir erneut bewusst gemacht, wie wichtig es ist, jeden Moment bewusst zu leben. Das Leben bietet so viel Schönes und Kostbares, und doch verlieren wir uns oft in Unwichtigem und verpassen dadurch den Augenblick. Statt den gegenwärtigen Moment zu genießen, beschäftigen wir uns mit Vergangenem oder sorgen uns über eine ungewisse Zukunft, die am Ende sowieso ganz anders kommt, als wir denken.

Der indische Mystiker und Meditationslehrer Osho sagt dazu:
„Der Körper bleibt in der Gegenwart und der Verstand fährt fort, zwischen der Vergangenheit und der Zukunft hin und her zu springen; dadurch entsteht eine Kluft zwischen dem Körper und dem Verstand. Der Körper ist in der Gegenwart, und der Verstand ist nie in der Gegenwart; sie treffen sich niemals, sie kommen nie miteinander in Kontakt. Und wegen dieser Kluft tauchen Ängste, Todesfurcht und Spannungen auf. Man ist darin gefangen. Diese Spannung führt dazu, dass man sich Sorgen macht.”
(Aus: Osho, The Open Door).

Alle Erkenntnisse, die uns der Tod schenkt, münden schließlich in unserem eigenen Tod. Ihn nicht als etwas Schlechtes oder Bedrohliches zu sehen, sondern, wie Osho sagt, als „Höhepunkt des Lebens“, empfinde ich als eine sehr befreiende und positive Sichtweise. Denn wie könnte der Tod unser Feind sein, wenn er uns doch immer wieder dazu anregt, bewusster und erfüllter zu leben?

Vielleicht macht diese Einsicht den Moment des eigenen Sterbens leichter und friedvoller. Ich weiß es nicht genau – aber ich werde Sie gerne informieren, sobald ich es herausgefunden habe. 😉😀

Ihr:
Dr. Nidal Moughrabi

  • Life & Executive Coach, Arzt (ICF, DGH, BSCH)

  • Persönlichkeitsentwicklung und Lebenskrisen-Management

  • Meditationstrainer, Hypnotherapeut und NLP Practitioner

  • Supervisor und Trainer für Coaching und für Hypnotherapie

  • Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin, Notarzt

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