Erste Hilfe bei Wut und Aggression: Übungen zum Bewältigen und Loslassen

 

Warum Wut völlig normal ist

In meinem anderen Blog-Artikel über Wut „Wut-Coaching – Verdammt nochmal, wer braucht denn so etwas!!!” habe ich bereits darüber geschrieben: Wut ist eine ganz normale, gesunde Emotion. Das Ungesunde kommt erst durch unseren falschen Umgang damit.

Dieser Artikel ist die praktische Ergänzung dazu und gibt Ihnen zwei konkrete Übungen für Ihre mentale und körperliche Gesundheit. Wenn Sie also das Gefühl haben, mit Ihrer Wut und Aggression nicht gut umgehen zu können (oder Ihr soziales Umfeld dieses Gefühl hat), dann sind Sie hier genau richtig.

Wie zuvor beschrieben, braucht es drei Dinge: Bewusstheit, Ausdruck und Transformation. Hier finden Sie zwei starke Werkzeuge, die Sie dabei entscheidend unterstützen können.

Zwei Übungen für Wut-Training und gesunden Umgang

Diese Übungen helfen Ihnen nicht nur, Ihre Wut zu kontrollieren, sondern auch, sie zu verstehen und ohne Gewalt auszudrücken. Sie fördern den gesunden Umgang mit Wut, stärken Ihre emotionale Intelligenz und reduzieren spürbar Stress.

Übung 1: Wenn die Wut hochkocht – atmen Sie tief aus

Jemand nimmt Ihnen die Vorfahrt, die Kinder stören zum wiederholten Mal Ihr Mittagsschläfchen, der Türsteher vom Nachtclub lässt Sie nicht hinein oder Ihr Partner bzw. Ihre Partnerin mäkelt wieder einmal an Ihnen herum.

Sie spüren, wie Ihr Gesicht heiß wird, wie Ihr Herz laut klopft und sich Ihr ganzer Körper anspannt. Gleich ist es so weit: Diese Anspannung muss raus.

Gleich werden Sie dem Verkehrsrüpel etwas Unflätiges hinterherrufen und vielleicht noch den Finger zeigen, gleich werden Sie Ihre Kinder anschreien (was Ihnen später leidtun wird), gleich werden Sie versuchen, den Türsteher mit einer bissigen Bemerkung zu provozieren (hoffentlich ist der nicht stärker als Sie), oder Sie werden Ihren Partner bzw. Ihre Partnerin anschreien und die Tür zuknallen.

Die Übung

Bevor Sie brüllen, provozieren oder knallen – atmen Sie wiederholt ganz tief AUS.
Tun Sie das durch den leicht geöffneten Mund und konzentrieren Sie sich immer wieder auf das langsame, tiefe Ausatmen (ans Einatmen müssen Sie nicht denken, das geschieht ganz von selbst).

So trainieren Sie das richtige Atmen gegen Wut

Machen Sie diese Atemübung für 5 bis 10 Minuten täglich. Sie müssen also mit einem regelmäßigen „Trockentraining” beginnen – ohne Wut im Bauch. Wenn Sie schwimmen lernen, dann starten Sie ja auch nicht gleich im Atlantik, oder? Und dann steigern Sie langsam, indem Sie diese Atemübung zunächst bei leichter Anspannung ausprobieren – zum Beispiel wenn es im Büro etwas stressiger wird. Üben und steigern Sie dann weiter, bis Sie irgendwann bei Ihrer Wut ankommen – aber auch hier nicht gleich beim ganz großen Wutanfall.

Wenn Sie diese Übung dann beherrschen, machen Sie sie beim nächsten großen Wutanfall.

Quelle: „Exhale deeply“ (Osho: Hammer on the Rock)

Übung 2: Gezielt Dampf ablassen – das Kissenritual

Es ist der falsche Umgang mit Wut, der schädlich ist. Entweder verletzen wir andere (oftmals sogar nahestehende Personen) verbal oder im Extremfall körperlich. Oder wir verletzen uns selbst, indem wir die Wut herunterschlucken.

Wut unterdrücken: Warum es schadet und wie Sie gesund damit umgehen

Menschen, die ständig ihre Wut unterdrücken, haben beispielsweise ein doppelt so hohes Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, wie Menschen, die einen gesunden Umgang mit ihrer Wut gelernt haben.

C Leineweber , H Westerlund, T Theorell: Covert coping with unfair treatment at work and risk of incident myocardial infarction and cardiac death among men: prospective cohort study. 2011 May. J Epidemiol Community Health

Die Übung

Sobald es nach einer Wut-Situation möglich ist, schließen Sie sich in einem Raum ein. Warnen Sie eventuell vorher Ihre Familie und/oder spielen Sie laute Musik. Nehmen Sie sich ein Kissen (bitte kein Daunenkissen, sondern ein etwas festeres Sofakissen). Stellen Sie einen Timer auf Ihrem Handy auf 5 Minuten und verhauen Sie das Kissen ordentlich.

Jawohl, legen Sie richtig los, das Kissen ist bereits erleuchtet – es wird nicht zurückhauen! Benutzen Sie dabei laut Ihre Stimme. Beginnen Sie mit „Nein!“ und steigern Sie sich dann zu Worten, die ich hier lieber zensieren möchte. Frei nach dem Motto „Was ich immer schon mal sagen wollte, aber mich wegen meiner guten Erziehung nicht getraut habe.“ Stellen Sie sich dabei die Person oder Situation lebhaft vor, die Sie gerade wütend gemacht hat.

Geben Sie 5 Minuten richtig Gas! Ganz wichtig: Passen Sie auf, dass Sie sich dabei nicht weh tun!

Wenn der Timer klingelt, legen Sie das Kissen beiseite. Stellen Sie den Timer erneut auf mindestens 5 Minuten, setzen Sie sich aufrecht hin und schließen Sie Ihre Augen. Beobachten Sie nun, was gerade in Ihnen geschieht: Vielleicht spüren Sie Herzklopfen, hören Ihr eigenes Keuchen, fühlen Wutreste, Traurigkeit oder sogar eine angenehme Leere.

Machen Sie diese Übung immer, wenn es nötig ist – am besten unmittelbar nach der Situation, sobald Sie die Möglichkeit dazu haben. Vergessen Sie dabei keinesfalls den zweiten Teil mit der Stille. Er ist entscheidend dafür, Bewusstheit in Ihre Verhaltensmuster zu bringen.

Zusätzlich empfehle ich Ihnen, diese Übung einmal täglich für mindestens eine Woche, besser aber drei Wochen lang zu machen. Sie brauchen dafür keinen konkreten Anlass – wenn Sie kurz nachdenken, fallen Ihnen bestimmt genügend Personen und Situationen ein, über die Sie sich geärgert haben.

Viel Spaß beim Üben – und bleiben Sie dran!

Natürlich gibt es noch viel mehr, was Sie tun können, aber diese beiden Übungen sind einmal ein sehr starker und gesunder Anfang. Und die Übungen dürfen übrigens auch Spaß machen.

 
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